Text

Lebendige, zeit(geist)kritische und klare Gedichte

Renate Aichinger, gebürtige Salzburgerin und 2014 mit dem Rauriser Förderungspreis ausgezeichnet, legt nach dem Debüt mit einem Erzählband mit „wundstill“ ihren ersten Lyrikband vor. Und es dauert nicht lange, bis man eingestiegen ist in diese Gedichte, die lebendig, zeit(geist)kritisch und in einer klaren Sprache formuliert sind.

„wire / less is more“ heißt es am Schluss von „cyber:hell“ (S. 7/8) und schon sind sowohl Gegenwart als auch die Zukunft fassbar und augenfällig. Im Gedicht „glaskugelblick“ (S. 81) trifft sie dann auch eine zukunftsträchtige Entscheidung: „wenn / sie in die zukunft sehen könnte / wär das ja nicht so schwer / mit der entscheidung“.

Doch bei aller Spitzfindigkeit, den die Autorin an den Tag legt, bleibt sie bei klaren poetischen Stimmungen und Botschaften. „Schorfschnipsel“ sind abbröckelnde Teile einer Wunde, eingetrocknetes Blut, etwas Einschneidendes, Verletztes und Verletzendes, und die Autorin gewährt dabei einen tiefen Blick ins Innenleben: „gib acht / auf mich / & mich / nicht auf“ (S. 133).

Renate Aichinger mischt hier und da ein paar Teile Sarkasmus mit schwarzem Humor, streut eine Brise Innenleben und Gefühl dazu und kreiert damit einen realen poetischen Cocktail. Und egal ob „dieser moment / wenn / alles / wundstill“ (S. 146) sein mag oder „leerzeichen“ eine neue Bedeutung bekommen: „vielleicht muss man nicht immer alles sagen / vielleicht reicht weniger / vielleicht reicht / vielleicht“ (S. 147), es gibt sehr viel zu entdecken in diesen Gedichten.

Rudolf Kraus// bücherschau.at




Quelle: Pool Feuilleton

Noch mehr als bei üblichen Buchtiteln kommt es bei Gedichtbänden darauf an, im Titel bereits jene Poesie auszuleuchten, die in den Gedichten später aufgesucht wird.

Renate Aichingers Wortkosmos "wundstill" erweckt sofort Bilder, die ins lyrische Herz treffen. Vielleicht kommt nach dem Schreien der Verwundeten in Trakls Grodek jene Stille auf, die wundstill ist, vielleicht ist es das Kind, das sich verletzt hat und jetzt wundstill gemacht ist, vielleicht ist es die Wunde, die einen ein Leben lang schon quält, und jetzt in eine Stille eingetreten ist hinter dem Pochen. " wundstill // es ist so eine eigene zeit / reingeworfen / in das nächste loch / das nur auf dich gewartet [...]" (144) Und die Steigerung ist das anfallende Stillstill, worin sich dann die Sprache mit der zu erwartenden Zukunft auflöst. "stillstill // wenn / so zukunft / würd ich anders / ent / scheiden." (148)

Solche Schnittpunkte für Entscheidungen zeigen sich in Renate Aichingers Gedichten mannigfach, in der Hauptsache ist es die Komplementärmenge der angesprochenen Situationen, die dem lyrischen Ich zu schaffen macht. Das Wortpartikel -los zeigt geradezu den Mangel von dem, was angesprochen ist. So gliedern sich die Gedichtgruppen um zehn "lose" Begriffe "ideen.los / führungs.los / grenzen.los / mittel.los / perspektiven.los / rücksichts.los / generationen.los / seelen.los / beziehungs.los / poesie.los".

Gleich zu Beginn zeigt sich dieses von Autorinnen so gefürchtete Ding, das in anderen Berufen Burnout genannt wird. "schreibblockade" (12), ein einzelnes Wort, hingesetzt als Hilferuf und Haltegriff, drum herum wird das Blatt so schrecklich leer, wie ein Leerraum nur in der Lyrik zusammengefasst werden kann.

Öffentliche Wut sickert bis ins Innerste der lyrischen Seele und endet als fassungsloses Wortspiel. "lauschangriff // ab / gehört / gehört / auf / gehört" (28)

Seltsam kalt und erregend wird plötzlich der Transitraum, wenn darin ein Mensch zwischen Wertezonen oder politische Systeme geraten ist. Selbst die Liebe endet oft in einem Transitraum, der als Schleuse dient für das Ungewisse. "transitraum // du sitzt / & wartest / auf ihn / auf den anruf // du stehst auf / & gehst / auf einmal klingeln / aufgelegt" (122)

Neben dem Display, auf dem sich die Welt zurecht wischen lässt, ist wohl das Wimmelbild zum Inbegriff unserer Wahrnehmung geworden. Alles ist gleichzeitig, demokratisch, offensiv, zukunftsfroh und kontrolliert, der Einzelne freilich geht in einem Wimmelbild unter wie in einer zu eng dimensionierten Fußgängerzone. "wimmelbild // wir / kleinen mücken // schwirren / umeinander / sehen einander verwechslungsähnlich / haben keine ahnung wer wir sind / nehmen platz / aufeinander // morgen werden wir weiter schwirren / verwirrt" (134)

Renate Aichingers Gedichte, die sie selbst als "lürix" bezeichnet wie einen Gefühlscomics, setzen der Welt an allen möglichen Stellen einen Schnitt an, der manchmal blutet, manchmal eine Erkenntnis ausspuckt, manchmal keinen Mucks macht, "dieser moment / wenn / alles / wundstill". (146)

Helmuth Schönauer